Zauberwald Verlag

Entengrütze

Für acht Enten

„Nun tret schon!“ 
„Tritt.“ 
„Hä?“ 
„Tritt. Es heißt ’tritt’. Der Singular-Imperativ von ’Treten’ heißt nicht ’tret’ sondern ’tritt’. So wie es auch nicht ’eß’ sondern ’iß’ heißt, und ’lies’ anstelle von ’les’, ’sprich’ statt ’sprech’ - und so weiter, du weißt schon.“ 
„Wieso, les doch einfach mal was da vorne draufsteht: ’TRETboot’! Also tret schon. ... Außerdem heißt es ja auch ’hex’ und nicht ’hix’.“ 
„Das kommt auf den Kontext an, meine Liebe.“ 
„Besserwisser.“ 
„Also, wollen wir jetzt streiten oder weitertreten?“ 
„Ha! Du hast es gesagt! Du hast es gesagt!“


Patomomo der Mächtige, Erzmagier des Zauberwaldes, seufzte tief und ließ einen leeren Blick über das Schilf am Ufer streifen. Diskussionen mit erzfeministischen Hexen wie Esmeralda waren immer soo ermüdend - selbst, wenn es nicht um kleine oder größere Unterschiede ging.

Das einsame Tretboot drehte sich sanft auf der stillen dunklen Oberfläche des Krötenweihers. Aus der Ferne mußte man denken, daß dort ein Liebespaar ein romantisches Stündchen auf dem Wasser verbrachte. In Wirklichkeit aber war es der Jahresausflug des Magischen Zirkels - Ortsgruppe Zauberwald West. Der Ausflug war so erfolgreich wie schon in den vergangenen Jahren: Die Mitgliederbeteiligung lag erneut bei 100%, der gegenseitige Austausch war rege, und die Stimmung war - spannend. Die Ortsgruppe Zauberwald West war sehr demokratisch organisiert. Alle Mitglieder genossen die gleichen Rechte. Den jahrelangen Versuch, einen Vorsitzenden zu wählen, konnte man mittlerweile wohl als gescheitert betrachten.

Der Nachmittag ging zur Neige, und auf der Veranda seines Pfahlhauses am östlichen Ufer des Krötenweihers entzündete der kleine gelbe Wauin-Wok seine bunten Lampions. Aber davon nahmen die Mitglieder der Ortsgruppe Zauberwald West keine Notiz. Ebenso ziellos wie ihre verbale Auseinandersetzung war das Tretboot immer weiter abgetrieben und schwamm inzwischen inmitten eines dicken dunkelgrünen Teppichs.

„Natürlich kann man Entengrütze essen, du Carnivorist.“ 
„Das mag ja sein, meine Liebe, aber zwischen ’essen können’ im Sinne von ’nicht daran sterben’ und ’essen können’ im Sinne von ’Geschmack daran finden’ besteht ja wohl ein himmelweiter Unterschied.“ 
„Na so weit kann dein Himmel ja nicht sein, wenn ich an das kalte Buffet bei deiner letzten Geburtstagsfeier denke.“ 
„Hrm.“ 
„Natürlich kommt es auf die Zubereitung an. Rote Grütze ist ohne Milch auch ungenießbar.“ 
„Was? Wieso?“ 
„Na, und ob nun irgendwelche Beeren oder Wasserlinsen - biologisch betrachtet ist das doch alles botanisch. Rein wissenschaftlich.“ 
„Dein Wissen schafft mich... Ich würde mich deiner offensichtlichen intellektuellen Überlegenheit gerne geschlagen geben. Aber in diesem Fall ist das nicht möglich.“ 
„Nicht möglich? Wieso?“ 
„Weil die Angewandte Kulinarik ebensowenig zu deinen Spezialgebieten gehört, wie zu meinen. Ich würde mich nur dem Urteil eines echten Experten unterwerfen.“ 
„DAS kannst du haben.“

Der kleine Komolze™ war gerade dabei einige Radieschen zu ernten, als er die Stimmen hörte. Ein Besuch von Esmeralda und Patomomo zusammen war ungewöhnlich. Aber da sie eifrig miteinander stritten, schien alles in Ordnung zu sein. Einige Minuten später saßen sie zu dritt am Küchentisch bei einem Becher Fencheltee. Esmeralda und Patomomo hackten weiter aufeinander ein, während der kleine Komolze™ den heißen Tee schlürfte. Seit langem war er es gewohnt, sich aus den Streitereien der beiden herauszuhalten. Das war entspannter und viel sicherer. Er hörte nur oberflächlich zu und dachte derweil an Spinat. 
Daß etwas nicht stimmte, merkte er erst, als ihm die Stille auffiel. Die beiden anderen zankten nicht mehr, sondern blickten ihn erwartungsvoll an. Hatten sie ihm eine Frage gestellt? Versuchten sie, ihn in ihren Streit hineinzuziehen? Der kleine Komolze™ rutschte nun sichtlich nervös auf seinem Stuhl hin und her. Er hätte besser zuhören sollen.

„Also, was sagst du?“ 
„Äh... achtzehn?“ 
„Was?“ 
„Ich meine acht Zehen. Also Knoblauch. Du weißt schon.“ 
„Ja oder nein?“ 
„Naja, vielleicht sind acht zu viele. Sagen wir vier.“ 
„Siehst Du,“ sagte Esmeralda, an Patomomo gewandt, „was habe ich gesagt!“ 
„Ich glaube es erst, wenn ich es probiert habe.“ 
„Also abgemacht,“ sagte Esmeralda, diesmal zum kleinen Komolzen™, „wir kommen morgen Abend zum Essen und du kochst uns Entengrütze.“

Und ehe er sich’s versah stand der kleine Komolze™ wieder alleine in seiner Küche. „Entengrütze? Das können die doch nicht ernst gemeint haben! Obwohl...“ 
Natürlich lag es ihm fern, seinen Freunden wirklich Wasserlinseneintopf aufzutischen. Aber er wollte sie auch nicht enttäuschen - und insbesondere nicht zwischen die Fronten geraten. Also mußte er wohl einmal wieder in die Trickkiste greifen. Wer sagt denn, daß in Entengrütze auch Entengrütze drin sein muß? In Jägersauce war schließlich auch kein Jäger drin. Und beim Kinderteller... naja. Vielleicht genügte es, wenn das Zeug so aussah wie Entengrütze? Und da fiel ihm der Spinat wieder ein.

Gleich am nächsten Morgen ging der kleine Komolze™ auf den Markt. Er kaufte:

  • 1,2 kg gefrorenen Rahmspinat
  • 500 g Brokkoli*
  • 500 g Zuckerschoten*
  • 4 Zwiebeln4 Knoblauchzehen
  • 2 BecherCrème fraîche
  • 750 g Tortellini (trocken)
  • 4 l Hühnerbrühe
  • Pfeffer, Salz, Muskatnuß
  • Butter
  • Parmesan
  • Baguettebrot

„Alles, was man für eine leckere Entengrütze braucht,“ schmunzelte der kleine Komolze™ in sich hinein.

Zu Hause schälte und würfelte er die Zwiebeln und den Knoblauch und dünstete beides in der Butter glasig. Sodann gab er die Brühe und den Spinat hinzu, würzte mit Pfeffer und Muskatnuß und kochte alles zusammen auf. Den Brokkoli wusch er gründlich und zerpflückte ihn in kleine Röschen. Die Zuckerschoten wusch er ebenfalls, befreite sie von ihren Enden und halbierte sie quer. In einem zweiten Topf brachte er Salzwasser zum Kochen, in dem er dann Brokkoli und Zuckerschoten 3 Minuten kochte. Danach nahm er das Grünzeug wieder heraus, schreckte es kalt ab und ließ es abtropfen. Derweilen warf er die Tortellini in den Spinattopf und ließ sie mitkochen, bis sie fertig waren. Nun rührte er die Crème fraîche unter, kochte das Ganze noch einmal auf und gab dann das abgetropfte Grünzeug hinzu. Schließlich ließ er die Suppe noch einen Moment ziehen und schmeckte sie abschließend mit Salz und Pfeffer ab.

Esmeralda und Patomomo kamen erwartungsgemäß pünktlich zum Essen. Als der kleine Komolze™ die Suppe auftischte, die Portionen mit geriebenem Parmesan bestreute und das Brot dazu reichte, beäugten die beiden ihre Teller sichtlich interessiert. Esmeraldas Augen glänzten triumphierend.

„Also wenn Du mich fragst, dann ist da gar keine Entengrütze drin,“ sagte Patomomo nach eingehender Inspektion der grünen Substanz auf seinem Löffel. 
„Was?“ meinte Esmeralda aufbrausend und blickte den kleinen Komolzen™ an. 
„Naja ...“ fing dieser zu erklären an, aber Esmeralda fiel ihm ins Wort. 
„Siehst Du?“, sagte sie zu Patomomo. Und bevor der protestieren konnte, fauchte sie: „Und nun eß schon, bevor es kalt wird!“

* Anstelle von frischem Brokkoli und frischen Zuckerschoten kann man auch eine tiefgefrorene Mischung nehmen. Dadurch spart man sich das Putzen und blanchieren.